Im Juli 2025 findet die Frauenfussball-Europameisterschaft in der Schweiz statt. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) erwartet einen deutlichen Anstieg an Mädchen und Frauen, die Fussball spielen wollen. Bereits heute mangelt es an Infrastruktur, Trainerinnen und Frauen in Vorstandsfunktionen. Der Fussballverband Bern-Jura (FVBJ) bereitet sich auf den erwarteten Boom vor.

Autorin: Andrea Stucki
Titelbild: Training bei den Juniorinnen des FC Breitenrain; Bildquelle: Andrea Stucki

Die Mädchen des FC Breitenrain betreten am Mittwochnachmittag gut gelaunt den Fussballplatz. Bald fliegen Bälle durch die Luft und die Freude am Fussball ist spürbar. Sie bitten ihre Trainerin Lydia Dubach, ihnen Tricks zu zeigen. Vor noch nicht allzu langer Zeit gab es noch keine Frauenabteilung beim FC Breitenrain, doch die Nachfrage steigt seit Jahren. In der Region Bern-Jura hat die Zahl der lizenzierten Spielerinnen in den letzten drei Jahren fast um die Hälfte zugenommen. Diese Entwicklung dürfte bald noch schneller gehen. Vom 2. bis 27. Juli 2025 findet die Frauenfussball-Europameisterschaft in der Schweiz statt. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) rechnet mit einem anhaltenden Boom im Mädchen- und Frauenfussball.


Der Fussballverband Bern-Jura (FVBJ) will die EM nutzen, um den Frauenfussball in der Region nachhaltig zu fördern. Lydia Dubach, Projektleiterin WEURO 2025 beim FVBJ, sagt: «Viele denken, wir müssen einfach mehr Mädchen für Fussball gewinnen. Aber das passiert sowieso.» Es sei jetzt vor allem wichtig, die Strukturen rundum aufzugleisen, damit man bereit sei und die erhöhte Nachfrage stemmen könne. Dafür hat der FVBJ die sogenannten Legacy-Projekte lanciert. Diese umfassen Ziele und Massnahmen in den Bereichen Spielerinnenförderung, Funktionärinnen, Schiedsrichterinnen und Trainerinnen.


Lydia Dubach, 31, ist seit Januar 2024 Projektleiterin WEURO2025 beim Fussballverband Bern-Jura. Sie ist begeisterte Fussballerin und spielte jahrelang beim FC Rot-Schwarz Thun, ehe sie im Sommer 2022 zum FC Breitenrain wechselte und dort bei der Neugründung des ersten Frauenteams mitwirkte. Ausserdem spielt sie Futsal bei
Minerva Bern und ist Trainerin bei den FF-12 Juniorinnen beim FC Breitenrain.
Bild: FC Breitenrain

  • Die Frauenabteilung beim FC Breitenrain ist in den letzten Jahren stark gewachsen. (Bild: Andrea Stucki)

Neue Wege für mehr Schiedsrichterinnen

In der Schweiz gibt es laut dem SFV 4800 Schiedsrichter und nur 122 Schiedsrichterinnen. Der FVBJ will künftig mehr Frauen als Spielleiterinnen gewinnen. Eine Vision wäre laut Dubach die Einführung eines Frauenausbildungswegs. Heute müssen sowohl Männer als auch Frauen ihre ersten Spiele bei den Junioren, also bei den Jungs, pfeifen. Dubach sieht eine Chance darin, neu ausgebildeten Schiedsrichterinnen die Möglichkeit zu geben, stattdessen Spiele der Mädchenteams zu leiten.

Zudem kann der Schiedsrichter:innenkurs seit Sommer 2023 online absolviert werden. Auch dies ist ein wichtiger Schritt, um generell mehr Teilnehmer:innen, und insbesondere mehr Frauen, zu gewinnen. Laut Dubach ist die Hemmschwelle für einige Frauen tiefer, wenn sie den Kurs nicht als einzige Teilnehmerin in einer Gruppe Männer absolvieren müssen und stattdessen zu Hause online machen können.

Carmen Aeberhardt ist die erste, die den neuen Online-Kurs absolviert hat. Sie hat lange Fussball gespielt und seit letztem Sommer steht sie regelmässig als Unparteiische auf dem Platz. Sie spricht über die grössten Herausforderungen sowie die positiven Aspekte des Schiri-Seins.

Frauen sollen am Ball bleiben

In den meisten Vereinen sind Frauen in Funktionärspositionen und als Trainerinnen stark untervertreten. Laut dem FVBJ sind nur 8 % der Trainer:innen in der Region weiblich. Anders als bei den Männern mit Seniorenteams gibt es für Frauen keine spezifischen Angebote für über 30-Jährige und die meisten Frauen treten nach ihrer Aktivkarriere aus dem Verein aus. Hier setzt der FVBJ an. Laut Dubach ist es wichtig, diese Frauen anzusprechen und im Fussball zu halten. «Die sind seit 15–20 Jahren dabei, kennen Fussball und verstehen die Bedürfnisse der Frauen», sagt sie. Sie könnten aufgrund ihrer Erfahrung wichtige Inputs in die Vereine bringen.

Als erste Massnahme fand im März ein Ü30-Turnier für Frauen im Wankdorfstadion statt. Die grosse Nachfrage bestätigte gemäss Dubach den Bedarf an solchen Angeboten. Zwar stand der Spass im Vordergrund, das Turnier bot aber gleichzeitig die Möglichkeit, die Teilnehmerinnen direkt anzusprechen und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie selbst mitwirken könnten – beispielsweise als Trainerin.

Im Juli 2024 findet erstmals ein Trainerinnenkurs spezifisch für Frauen in Bern statt. Laut Dubach könnten mit einem Kurs, der 45 Plätze bietet, mehr Trainerinnen ausgebildet werden als sonst über mehrere Jahre in der Region. «Wenn schon nur ein Kurs pro Jahr stattfindet, könnte man für eine riesige Entwicklung sorgen.»

Zwischen Euphorie und Realität

Nebst mehr Frauen als Trainerinnen und Funktionärinnen muss auch das Angebot innerhalb der Vereine der steigenden Nachfrage angepasst werden. Der FC Breitenrain geht mit gutem Beispiel voran. Innerhalb von drei Jahren konnte eine grosse Frauenabteilung mit sechs Juniorinnen- und zwei Aktivteams aufgebaut werden. Doch viele Vereine sind schon ausgelastet, so auch der FC Steffisburg:

«Mein Fussballerherz ist geteilter Meinung»

Thomas Schödler, Verantwortlicher der Frauenabteilung des FC Steffisburg, schaut der EM kritisch entgegen. Nicht alle sind für den erwarteten Boom im Frauenfussball gewappnet. Beim FC Steffisburg wird vor allem die fehlende Infrastruktur zur Herausforderung.

Wie hat sich die Frauenabteilung des FC Steffisburg entwickelt?
2008 kam erstmals das Thema auf, ein Mädchenteam zu gründen. Die Entwicklung ging dann sehr schnell und heute haben wir vier Mannschaften: zwei Juniorinnenteams, eine 4. Liga und eine 2. Liga.

Der Schweizerische Fussballverband rechnet im Rahmen der EM mit einer Zunahme der Mädchen, die Fussball spielen wollen. Wie sehen Sie das?
Grossanlässe lösen immer einen Hype aus, sowohl bei den Jungs als auch bei den Mädchen. Es werden sicher mehr Mädchen in den FC kommen. Die Problematik ist die Infrastruktur. Die IST-Situation bei uns ist tragisch aufgrund der Platzsituation.

Was ist das Problem?
Ab diesem Sommer bricht einer unserer zwei Hauptplätze weg, da ein neues Kultur- und Sportzentrum sowie ein neuer Kunstrasen gebaut wird. Dieser ist aber erst in zwei Jahren fertig. Wir haben 23 Teams, die alle zwei Mal in der Woche trainieren wollen. Der übrige Hauptplatz wird komplett ausgelastet sein. Somit haben wir keine Möglichkeit, zusätzliche Mannschaften zu melden, wenn die EM losgeht. Zudem bräuchte es auch mehr Trainer und Trainerinnen. Ich hätte gerne eine Frau, die bei den Mädchenteams mithilft.

Gibt es mögliche Lösungen?
Die Problematik ist auch bei umliegenden Vereinen ähnlich. Ich bin im Gespräch für zusätzliche Plätze, aber es sind alle am Anschlag. Es fehlen durchs Band weg Fussballplätze und Trainer:innen, um einer steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Wenn viele Anfragen kommen, werden wir ganz klar Konsequenzen ziehen müssen und mit Wartelisten arbeiten und ablehnen müssen.

Was wird gemacht, bevor Mädchen abgelehnt werden?
Der Vorstand ist sich der Herausforderung bewusst. Es geht ja nicht nur um Mädchen, bei den Jungen arbeiten wir schon länger mit Wartelisten. Wir werden die Anfragen sammeln und beispielsweise einen Trainingstag für alle organisieren oder Sichtungsturniere veranstalten. Da kann schon etwas gefiltert werden. Nicht alle, die durch diesen Boom kommen, wollen auch wirklich lange spielen.

Es fehlen Plätze, aber auch Trainerinnen?
Wir haben aktuell nur eine Assistenztrainerin bei den Frauen. Die Suche nach Trainerinnen ist nicht einfach, was ich sehr schade finde. Die Zusammenarbeit mit Trainerinnen hat viele Vorteile. Manchmal diskutieren die Frauen mehr untereinander als mit einem männlichen Trainer. Der Fussballverband bietet neu Trainerinnenkurse an, das Potenzial ist also da.

Was erhoffen Sie sich durch die EM?
Ich würde mir wünschen, dass es auch mehr Zuschauer lockt. Dass mehr Zuschauer und Zuschauerinnen an die Spiele kommen, auch bei den Profis. Das würde Geld bringen und wäre ja auch eine Wertschätzung. Vielleicht würde es auch mehr Sponsoren locken, da sehe ich auch eine Chance. Irgendwie muss Geld generiert werden.

Wie schauen Sie der EM insgesamt entgegen?
Mein Fussballerherz ist geteilter Meinung. Ich freue mich auf diesen Event in der Schweiz und in Thun. Aber die Situation mit dem Nachwuchs trübt meine Euphorie. Es tut mir jetzt schon weh, wenn viele Anfragen kommen und ich dann sagen muss „Sorry, wir haben keinen Platz“.

Alternativangebote als Chance

Der FVBJ ist sich des Problems der fehlenden Infrastruktur bewusst. Nicht alle Vereine können mehr Teams bilden. Laut Dubach sollen sie deshalb künftig mehr auf alternative Angebote setzen.

Futsal, eine Hallenfussballvariante, wird immer beliebter. Vereine könnten vermehrt Hallentrainings durchführen, um den Engpass mit den Aussenplätzen zu entschärfen. Gerade im Sommer sind viele Hallen weniger ausgelastet. Futsal sei zwar etwas anderes, könne aber die Fussballer:innen technisch, taktisch und koordinativ fördern, was ihnen auch für den Fussball draussen zugutekomme. Auch eine Chance sieht Dubach darin, bei den Nachwuchsteams alle paar Wochen ein alternatives Training wie Sprinttraining, eine Tanzstunde oder Leichtathletik anzubieten. Die Spieler:innen könnten von diesem polysportiven Angebot profitieren und die Plätze so entlastet werden.

Ideen sind beim FVBJ viele vorhanden. Dubach freut sich auf die EM und auf die neuen Gesichter, die sie vielleicht schon bald im Training ihres Teams begrüssen kann. Mädchen von vornherein abzulehnen, wenn die Nachfrage im Rahmen der EM steigt, ist für sie keine Option. Sie ist sich sicher, dass bis zur EM in einem Jahr noch viel erreicht werden kann. Was es brauche, sei Zeit, viel Motivation und Leute, die sich engagieren.