Eine Gesamtsanierung bei einem Museum ist der letzte Versuch, das schlagende Herz vor dem Stillstand zu bewahren. Doch was spielt sich dann hinter verschlossener OP-Tür ab? Ein Blick in die Patientenakte des Patienten Villa Langmatt.
Multimedialer Beitrag: Lilly
Titelbild: Kommt die Villa Langmatt mit der OP dem Ziel Unsterblichkeit ein wenig näher?
Patientenakte: Villa Langmatt |
Identifizierungsdaten Name: Museum Langmatt; Privatsammlung impressionistischer Kunstwerke wie Monet, Dégas, Renoir Wohnort: Baden Krankheit: Bröckelnde Fassade, Wasserschäden, mangelnder Einbruchschutz bedingt durch Altersschwäche Behandlung: Gesamtsanierung |
Krankengeschichte (Anamnese) – Das Herz der Villa stand kurz vor dem Stillstand Die Fassade bröckelte, eine Terrasse war undicht, es gab Wassereinbrüche in der Küche und die grossen Schornsteine waren einsturzgefährdet. Die Gesundheit der Villa war stark mitgenommen. Für einige Jahre wurden punktuelle Sanierungen vorgenommen, doch ohne Erfolg. Das Herz der Badener Kunstszene stand kurz vor einem Infarkt. Ein Tod, den Museumsdirektor Markus Stegmann und die Stiftung Langmatt nicht zulassen wollten. Um die Langmatt zu retten, setzten sie sich ab 2020 für eine Gesamtsanierung ein. Einziger Haken waren die hohen Kosten. Das Vermögen der Stiftung reichte nicht, um die Kosten zu decken. Schon bald reichte das Vermögen nicht einmal mehr, um den Betrieb des Museums zu sichern. Doch die Villa Langmatt und ihr Umfeld gaben nicht auf. Durch unermüdliche Kommunikationsarbeit war es ihnen möglich, das benötige Geld durch eine Volksinitiative und Spenden zu sammeln. Die Finanzierung der OP war somit geregelt. Zusätzlich sicherte die Stiftung Langmatt mit einem Verkauf dreier ihrer Kunstwerke des französischen Künstlers Cézanne den Museumsbetrieb langfristig. Ein knappes halbes Jahr nach Volksabstimmung befand sich die Villa Langmatt auf der Krankenliege auf dem Weg in den OP. |
Bildcredits: Lilly
Behandlungsdetails – So wird die Langmatt später aussehen Anfang 2024 wurde der Langmatt eine Vollnarkose verabreicht. Alle Gegenstände und impressionistischen Kunstwerke wurden in Kisten verpackt und sicher bis zum Ende der Sanierungsarbeiten in externen Lagern verstaut. Am 1. März wurde die Langmatt termingerecht in den OP eingeliefert und der Spatenstich vollzogen. Voraussichtlich bleibt sie dort bis Frühling 2026. Die vollzogenen Sanierungsarbeiten teilen sich in zwei Phasen auf, wobei die Grenzen jedoch ineinander fliessen. Im Jahr 2024 werden vor allem gröbere Arbeiten, also Rohbauarbeiten, an der Hausfassade vorgenommen. 2025 werden dann die Ausbauarbeiten im Gebäudeinnern durchgeführt. Auf der Webseite der Villa Langmatt sind Details zu den Sanierungsarbeiten einzusehen. Im Garten entsteht ein neuer Pavillon, der Eingangsbereich wird vergrössert und ein neuer Lift soll für Inklusion sorgen. Zudem werden Sanierungsarbeiten an der Fassade vorgenommen, unter anderem um den Einbruchschutz zu vergrössern. |
Bilder:zVg
Von alledem ist am 2. Mai 2024 aber nicht viel zu sehen, als ich die Baustelle besuche. Ein Kran ragt hoch über die Villa Langmatt hinaus. Drei lila Toilettenhäuschen stehen neben gelben Blumen. Überall auf dem Areal wimmelt es nur so von Baucontainern, Baukoffern, Brettern und Baumaterial. Mitten im Geschehen befindet sich Michael Baumgartner, Bauleiter des Architektenbüros Ernst Niklaus Fausch Partner AG. Er ist Chefarzt der durchführenden OP. Das nachfolgende Video gewährt einen Einblick hinter die rot-weisse OP-Tür und zeigt, wie sich dieser operative Eingriff gestaltet. |
Video: Lilly Rüdel
Expertenmeinung – Nicht alle waren immer der gleichen Meinung Da sich eine Operation am ganzen Körper sehr kompliziert gestaltet, müssen bei einer (Gesamt)-Sanierung immer mehrere Experten in den Prozess miteinbezogen werden. In langen Diskussionen werden die einzelnen Eingriffe besprochen. So auch der Eingriff in der Langmatt im grossen Bibliothekssaal mit zwei grossen Fenstern als Hingucker. Karl Moser, Architekt der Villa Langmatt, inszenierte die Fenster wie ein Gemälde in der Natur. So gewährten sie, angelehnt an Bilderrahmen, einen Ausblick auf die Badener Landschaft. Heute ist von dieser Landschaft jedoch nicht mehr viel zu sehen, da ein kleines Wäldchen am Flussufer diese verdecken. Um diesen verlorenen Teil des Kulturerbes wieder aufleben zu lassen, wollte man die Bäume ausserhalb des Langmatt Areals zurückschneiden, um die Sicht auf das verschwundene Tal zu öffnen. Während das Museum Langmatt sowie der Denkmalschutz dieses Vorhaben unterstützten, stellte sich die Stadtökologie gegen dieses Vorhaben. Zwei alte Eichen wären dem Vorhaben zum Opfer gefallen. Diese dienen jedoch als Lebensraum für unzählige kleine Tiere. Ein Kompromiss musste her. Schlussendlich entschied man sich, kleinere Bäume zu fällen und somit den Wald zu lichten. An einzelnen Stellen wird der Blick somit auf das Tal frei, ohne dass das Ökosystem in seinem Kern zerstört wird. Dieses Beispiel ist nur eines der vielen Resultate langer Diskussionen. Heiko Dobler, stv. Denkmalpfleger vom kantonalen Denkmalschutz Aargau war bei diesen Diskussionen mit von der Partie. Im Interview gewährt er einen tieferen Einblick in die Thematik. |
Die Eingriffe in die historische Baustubstanz der Langmatt sind erheblich
Nur 0,5 % des gesamten Aargauischen Gebäudebestands ist denkmalgeschützt. Für Heiko Dobler, stv Denkmalpfleger, ist es deswegen umso wichtiger, diesen Teil zu schützen. Was man dabei beachten muss und welche Herausforderungen es gibt, erklärt Dobler im Interview.
Weshalb ist es der Erhalt und Schutz von denkmalgeschützten Gebäuden so wichtig?
Dobler: Die Erhaltung und Pflege der Kulturgüter entsprechen einem öffentlichen Interesse, welches im Gesetz verankert ist. Nebst dem beweglichen Kulturgut sowie archäologischen Hinterlassenschaften sind auch Baudenkmäler für unsere Geschichte und Identität wichtige Zeugen. Sie prägen oftmals unseren Siedlungsraum und sind aus baukünstlerischen, historischen, gesellschaftlichen, handwerklichen oder typologischen Gründen von besonders grossen Relevanz.
Welche Rolle spielt die Denkmalpflege während Sanierungsarbeiten von denkmalgeschützten Gebäuden?
Ein denkmalpflegerisch korrekter Umgang mit einem Baudenkmal ist ein gemeinsames Unterfangen zwischen EigentümerInnen, PlanerInnen, HandwerkerInnen, den Gemeinden und der Denkmalpflege. Da eine Unterschutzstellung nicht bedeutet, dass sich das Bauwerk nicht mehr wandeln darf, ist je nach Bauaufgabe ein intensiver Austausch zwischen den Parteien mit teils unterschiedlichen Interessen gefordert. Die Denkmalpflege sieht sich in diesem Prozess in einer unterstützenden Rolle, zumal sie im Umgang mit der historischen Substanz planerische, gestalterische, handwerkliche und materialtechnische Hinweise geben kann.
Können Sie anhand des Projektes Langmatt aufzeigen, wie ein Prozess der Planungsarbeit von Gesamtsanierungen aus Sicht der kantonalen Denkmalpflege aussieht?
Der Planungsprozess bei der Langmatt war und ist vorbildlich. Bereits auf Stufe Konkurrenzverfahren konnte sich die Denkmalpflege frühzeitig einbringen. In einem sehr frühen Stadium konnten die Weichen richtiggestellt werden. Die Denkmalpflege hat das Projekt an zahlreichen Projektteamsitzungen intensiv begleitet. Vorprojekte wie Bauprojekte wurden eng begleitet, sodass die meisten Fragen schon vor dem Baugesuch und vor der genaueren Ermittlung der Kosten geklärt werden konnten. Das war für unsere Fachstelle mit einem beträchtlichen zeitlichen Aufwand verbunden und kann nicht bei jedem Projekt gleich intensiv erfolgen.
Konnten Sie im Fall Langmatt immer die Position der kantonalen Denkmalpflege erfolgreich verteidigen oder mussten Sie auch Kompromisse eingehen? Wenn ja, welche?
Spezifisch beim Projekt Langmatt stossen denkmalpflegerische Anliegen auf keinen grossen Widerstand. Das mag daran liegen, dass alle Beteiligten um die einmalige Kombination aus Baudenkmal und Kunstmuseum wissen.
Trotzdem haben der Anspruch an eine hindernisfreie Erschliessung als auch die für ein Entree und Museumsshop bisher knappen Räumlichkeiten erhebliche Auswirkungen auf die historische Substanz. Die Eingriffe, die im früheren Ökonomietrakt erfolgen werden, sind demzufolge erheblich. Gleichwohl ist es auch für die Denkmalpflege entscheidend, dass das Museum Langmatt weiterhin in der angestammten Villa funktionieren kann. Mit Blick aufs Ganze sind die Eingriffe daher aus denkmalpflegerischer Sicht zu vertreten.
Am 1. März wurde der Spatenstich an der Villa Langmatt vollzogen. Bedeutet dies jetzt für Sie, dass das Projekt Langmatt beendet ist?
Mit dem Spatenstich ist die Begleitung seitens der Denkmalpflege auf keinen Fall abgeschlossen. Die eigentliche Bauberatung, der Austausch zwischen PlanerInnen, NutzerInnen und den ausführenden HandwerkerInnen beginnt damit erst. Es bleiben noch zahlreiche Aspekte zu diskutieren und zu definieren. Auch das Restaurierungskonzept in den historischen Räumlichkeiten gilt es noch zu schärfen.
Interview geführt von Lilly Rüdel
Aufzeichnungen ähnlicher Krankheitsfälle – Diese Museen werden ebenfalls saniert Die Villa Langmatt ist bei weitem nicht die einzige Betroffene, welche durch ihr hohes Alter mit Bauschäden zu kämpfen hat. Viele Museen werden operativ behandelt, doch meistens nur an einzelnen Räumlichkeiten. Eine Gesamtsanierung in dieser Form ist eher selten. Die untenstehende Grafik zeigt ein umfassenderes Bild der Schweizer Museen-Landschaft in Hinblick auf (Gesamt)-Sanierungsarbeiten. Abgebildet sind Museen, welche sich zwischen 2016 und 2024 in einer der drei folgenden Operationsphasen befand. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie am ganzen Gebäude oder nur an einzelnen Räumlichkeiten operiert wurden. Unterteilt sind die Museen in die folgenden drei Kategorien, je nach Operationsstatus: |
präoperative Phase= vor OP
intraoperative Phase= während OP
postoperative Phase= nach OP
Gestaltung: Lilly Rüdel, Text: Lilly Rüdel, Quelle: Webseiten der Museen
Reaktion aus dem Umfeld – Er ist wohl der engste Vertrauter der Langmatt Dass ein Museum viele starke Beziehungen pflegt, zeigt das Beispiel Langmatt. Die Volksinitiative am 18. Juni 2023 wurde mit knapp 80 % Ja-Stimmen angenommen und unterstreicht somit den Stellenwert der Langmatt für die Badener Bevölkerung. Die wohl engste Person aus dem Umfeld der Villa ist heutzutage Markus Stegmann. Seit 8.5 Jahren ist er Museumsdirektor der Langmatt und pflegt deshalb eine sehr spezielle Beziehung. Das nachfolgende Audio reist zurück in die Zeit, um diese Bindung besser zu verstehen. |
Audio: Lilly Rüdel
Auch wenn Museen bereits seit vielen Jahren existieren, ist ihre Erhaltung ein wichtiger Bestandteil für die Erhaltung des Kulturerbes. Die Patientenakte des Museums Langmatt zeigt, wie sorgsam eine Operation an Museen durchgeführt werden muss. Ihre Vielfalt und Kombination aus Vergangenheit und Gegenwart verlangen eine vielfältige und detailreiche Arbeit. Eine Arbeit, die dem Patienten Hoffnung auf ein Leben der Unendlichkeit bietet. Und irgendwie wünscht sich jedes Kulturgut doch genau das. |

Ich studiere derzeit Kommunikation im 4. Semester an der ZHAW in Winterthur. Nebenbei arbeite ich bei der Schweizer Woche und schreibe dort meine eigene Kolumne. Schon immer war Schreiben meine Leidenschaft. Dabei liegt mir besonders am Herzen, den Leuten eine Stimme zu geben, die nicht gehört werden.