Eine ADHS-Diagnose bringt Gewissheit für die Betroffenen. Quelle: https://adhs-kompakt.de/was-ist-adhs/

ADHS ist eine psychische Störung. Um sie zu diagnostizieren, ist eine medizinische Abklärung notwendig.Ob diese bereits im Kindesalter oder erst im Erwachsenenalter erfolgt, ist individuell. Im Kanton Zürich beträgt die Wartezeit zurzeit bis zu 12 Monate.

Autorin: Chantal Cosandey
Titelbild: Eine ADHS-Diagnose bringt Gewissheit für die Betroffenen.
(Bildquelle: https://adhs-kompakt.de/was-ist-adhs/)

Die Wartezeiten für die Abklärung der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kanton Zürich sind momentan auf einem Rekordhoch. Bis zu einem Jahr kann es dauern, bis Betroffene einen Termin erhalten. Dabei ist es laut ADHS-Experte Prof. Dr. Frank Wieber wichtig, schnell zu handeln. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser. Doch das ist derzeit leider nicht möglich. Sowohl die Universitätsklinik Zürich als auch Kinderärzt:innen, Psycholog:innen und private Unternehmen seien laut 20min überlastet. Schuld dafür seien unter anderem die sozialen Medien.

Selbsttest führen zu mehr Abklärungen

Die Wartezeiten sind nämlich nicht einfach so länger geworden. Für Wieber haben vor allem die sozialen Medien einen grossen Einfluss gehabt. Vor allem seit der Corona-Pandemie werde mehr über das Thema psychische Gesundheit gesprochen. Im Vergleich zu vor einigen Jahren sei ein offener Dialog viel besser möglich und psychische Probleme würden vermehrt angesprochen werden. In den sozialen Medien, vor allem Instagram und TikTok, gibt es immer mehr Selbsttests. Der Trend besteht darin, dass Sätze von einer Person gesagt werden, die typisch für Menschen mit ADHS sind. Das können Sätze sein wie “Verlegst du oft deine Schlüssel?” oder “Unterbrichst du oft andere beim Reden?”. Bei jedem Satz, der auf einen selbst zutrifft, senkt man einen Finger. Die Aussagen sind allerdings sehr allgemein formuliert, so dass es schnell der Fall sein kann, dass plötzlich alle Finger unten sind. Dies kann dazu führen, dass man sich selbst mit ADHS diagnostiziert und sich zur Abklärung anmeldet. Das Hauptproblem hierbei sieht Wieber darin, dass der Begriff ADHS inflationär verwendet wird und so die eigentliche Bedeutung entkräftigt wird und der Leidensdruck der Betroffenen nicht richtig anerkennt wird.

ADHS ≠ Depression

Durch die Selbsttests gibt es laut eine Wieber eine Augenscheinvalidität. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen denken: «Hey, das ist bei mir auch so, dann habe ich auch ADHS». Viele der Symptome, welche die Menschen stutzig machen, seien aber durch unseren Lebensstil erklärbar. Stundenlanges Scrollen in sozialen Medien, ständige Erreichbarkeit und eine schnelllebige Gesellschaft können laut Wieber zu ADHS-ähnlichen Symptomen führen. Diese seien aber im Gegensatz zu ADHS reversibel.

Für Wieber ist es aber nicht nur ein Problem, dass sich Menschen aufgrund eines Selbsttest für eine Abklärung anmelden. Denn in den meisten Fällen sei wirklich ein Problem vorhanden. Entweder leidet die Person tatsächlich an ADHS oder es liegt eine andere psychische Störung vor. Häufig ähneln die Symptome von ADHS denen von Depressionen oder Autismus-Spektrum-Störungen. Deshalb kann es nicht schaden, sich abklären zu lassen. 

Probleme im Erwachsenenalter

Wenn ADHS nicht schon im Kindesalter diagnostiziert wurde, sei es als erwachsene Person bei einem verdacht umso wichtiger, sich abklären zu lassen.Die Symptome von ADHS verschwinden im Erwachsenenalter nicht. Bei nicht-diagnostiziertem ADHS bei Erwachsenen gibt es eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass weitere psychische Probleme auftreten können. Laut Wieber gibt es eine zehnfache Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person an Mediensucht erkrankt. Ausserdem steigt das Risiko für eine Erschöpfungsdepression oder sogar ein Burn-Out immens. 

Leben mit ADHS

Bei Wolf von Mecklenburg wurde erst im Alter von 18 Jahren Erwachsenen-ADHS diagnostiziert. Ausserdem leidet der 23-Jährige an Legasthenie und Epilepsie. Seine Ärzte sind der Meinung, dass entweder die Epilepsie der Auslöser für das ADHS war oder aber umgekehrt das ADHS der Auslöser für die Epilepsie. Im Videobeitrag erzählt er, mit welchen Problemen er seit seiner Schulzeit täglich zu kämpfen hat.

Lese- und Rechtschreibprobleme, wie auch von Mecklenburg hat, treten laut Wieber vermehrt mit ADHS auf. Dies ist sowohl im Kindesalter in der Schule als auch im Erwachsenenalter in der Arbeitswelt ein Problem.  

Schulsystem ist nicht kompatibel mit ADHS 

Überwiegend wird ADHS bereits im Kindesalter entdeckt. Die Kinder haben in der Schule oft Probleme damit, sich auf eine bestimmte Aufgabe zu konzentrieren. Insbesondere wenn sie die Aufgabe nicht interessiert. Bei gewissen Ausprägungen kann es zu Hyperfokus kommen, hierbei wird die gesamte Aufmerksamkeit einem expliziten Thema zugewandt. In gewissen Situationen kann dies in der Schule ein Vorteil für die Kinder sein, im Normalfall ist es aber sehr anstrengend und kontraproduktiv. Ein Grossteil der betroffenen Schüler:innen haben Mühe mit der Feinmotorik, miteinhergehend mit Schreibproblemen. Da das Schweizer Schulsystem sehr schreiblastig sei, haben die Kinder laut Wieber weniger Chancen, ihr Wissen unter Beweis stellen zu können. 

Fokus-Projekt soll Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen fördern

Das schweizerische Schulsystem gibt vor, wo, wann und wie die Schüler:innen zu lernen haben. Der Unterricht ist streng geplant und wird meist auch so durchgeführt. Für Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten ist dies eine grosse Herausforderung, da sie zum Teil sehr lange stillsitzen und zuhören müssen. Im Fokus-Projekt der Fachhochschule Nordwestschweiz wird derzeit untersucht, wie der Unterricht gestaltet werden muss, damit Kinder mit Konzentrationsschwierigkeiten folgen können. Es brauche vor allem Rituale, aber auch ausreichend Pausen und Bewegung. Schon jetzt könne man sagen, so Wieber, dass alle Kinder von dieser Art des Unterrichts profitieren können.

ADHS in Kindern und Erwachsenen – genau gleich?

Egal, ob die Störung im Kindes- oder Erwachsenenalter diagnostiziert wird – Probleme bringt sie in jedem Fall mit sich. Im Interview erklärt der ADHS-Experte Prof. Dr. Frank Wieber, inwiefern sich ADHS bei Kindern und Erwachsenen unterscheidet und warum eine Abklärung wichtig ist.

Grundsätzlich kann also gesagt werden: Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser. Denn egal, ob ADHS im Kindes- oder Erwachsenenalter diagnostiziert wird: Die Betroffenen müssen ihr Leben lang mit der Störung leben und sich behandeln lassen. 

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