Die Schweiz kämpft seit Jahren gegen das Lädelisterben an – Biel scheint die Lösung für dieses nationale Problem gefunden zu haben. Mittels des First Fridays wird die Altstadt zum Treffpunkt, wo die Bevölkerung die lokalen Lädeli auf innovative Weise (neu) kennenlernt. Während der First Friday in Biel seit Jahren ein gefeiertes Event ist, ist dieses in Schaffhausen erst seit wenigen Monaten im Lauf.

Autorin: Amélie Perrinjaquet
Bildlegende: Immer weniger Personen bummeln in Schweizer Städten.
Quelle: Amélie Perrinjaquet

Bunte Häuser zieren die mit Pflastersteinen bedeckten Strassen, verzierte Erker lugen auf die Gassen hinaus und kleine Boutiquen reihen sich aneinander. Wenn es doch nicht der Dialekt und die zweite Landessprache wären, die die zwei geografisch weit getrennten Städte unterscheiden. Biel und Schaffhausen sind beide von mittlerer Grösse, neben Grossstädten lokalisiert und besitzen eine malerische Altstadt. Trotzdem bleiben Gassen, Boutiquen und Plätze leer – so war es zumindest vor acht Jahren in Biel. Heute ist die Bieler Altstadt nicht mehr zu erkennen, wo einst Lädeli starben, werden heute stetig neue geboren. Neues Leben wurde in die Stadt gehaucht. Das, dank des First Fridays. 

Von der verwüsteten Stadt zum Kulturtreff

Am ersten Freitag des Monats werden weltweit die Innenstädte zur Schau gestellt. Sie verfolgen alle dasselbe Ziel: Die Belebung der Innenstadt. Dies soll durch lange Öffnungszeiten der lokalen Lädeli und diversen Attraktionen erfolgen. DJs spielen ihre neuesten Tracks in Galerien, lokale Weingute präsentieren ihre edelsten Tropfen auf dem Marktplatz und Coiffeuren bieten ein gratis Fresh-Up für die Afterparty an. In Biel findet der First Friday seit genau acht Jahren statt. Reto Bloesch, Organisator des First Fridays in Biel, kann einen grossen Unterschied der Stadt feststellen: «Die Altstadt hat sich im Vergleich zu acht Jahren sehr verändert. Wir haben einen Ort erschaffen, wo sich das lokale Gewerbe entfalten kann.» 

Der Bund betitelte die Bieler Altstadt 2016 als Sorgenkind, verwaiste Ladenlokale, ungepflegte Bauten und menschenleere Gassen prägten lange das Bild. Bloesch ergänzt, dass auch die angesiedelte Drogenszene die Situation verschlechterte. Als die Drogenabgabe an einen anderen Ort ausgelagert wurde, konnte sich die Altstadt von der Situation erholen. 

Der entscheidende Ruck kam aber von Bloesch und seinem Team. Als Bloesch in seinen Surfferien in Hawaii einen First Friday miterlebte, wusste er, dass er dieses Konzept auch in Biel realisieren möchte. «Ich war in Honolulu und die Voraussetzung der Stadt war ähnlich wie in Biel. Eine herzige Stadt, in der nicht mehr viel lief. Die Atmosphäre an diesem Abend hat mich so begeistert, dass ich wusste, dass ich dieses Konzept auch auf Biel übertragen möchte.» Zurück in der Schweiz berichtete Bloesch seinen zwei Kollegen Olivier Paratte und Patrick Weiss von der Idee. Paratte und Weiss, die wie Bolesch in der Event- und Kommunikationsbranche tätig sind, stimmten der Idee sofort zu. «Unser Ziel war es, die Altstadt wiederzubeleben und die lokalen Gewerbe und Kunstszene zu unterstützen.» Die Reaktionen auf das Projekt fielen laut Bloesch hauptsächlich positiv aus, die Stadt und die lokalen Lädeli stimmen der Idee zu. «Viele wollten nicht mehr tatenlos zusehen, wie sich die Lage der Stadt verschlechterte. Die Altstadt liegt vielen Bieler:innen am Herzen.», berichtet Bloesch. Auf Kritik stiessen die drei Bieler trotzdem, noch bevor sie loslegten. Oft hörten sie, dass die Idee zum Scheitern verurteilt sei und unmöglich umsetzbar ist. Als erste Schweizer Stadt wagten sie den Schritt dennoch. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt und den lokalen Lädeli arbeiteten sie ein Konzept aus. Ein paar Monate später, im Mai 2016, fand der erste First Friday statt.

Klare Abgrenzung

Beim First Friday steht die Bieler Altstadt im Mittelpunkt, die Neustadt wird hier klar abgetrennt. Grosse Firmen wie Manor, Coop City oder Depot, die in der Neustadt lokalisiert sind, dürfen am First Friday nicht teilnehmen. Auffällige Banner und Logos haben nach Bloeschs Meinung nichts am First Friday verloren. Die lokalen Lädeli sollen unterstützt werden, der First Friday sei kein kommerzieller Anlass. Doch genau dies wird ihm und sein Team immer wieder vorgeworfen. «Wir selbst machen keinen Profit durch den First Friday. Die Einnahmen, die wir erhalten, geben wir für die Alkohollizenz und die Bewilligungen wieder aus.», so Bloesch. Obwohl der First Friday in der Altstadt lokalisiert ist, profitiert die ganze Stadt davon. Da der Anlass jeweils um 22:00 Uhr endet, ziehen viele Personen weiter in Bars und Clubs, die in der ganzen Stadt verteilt sind. 

Die Altstadt ist nicht nur am ersten Freitag im Monat gut besucht, sondern auch an den restlichen Tagen. Die Lädeli konnten sich etablieren, sind in der Bevölkerung bekannt und können sich immer wieder neu präsentieren. Bloesch erzählt, dass Besucher:innen an manchen First Fridays nicht viel kaufen, dafür aber an den folgenden Tagen umso mehr. Sie kehren in die Stadt zurück, um vom vielfältigen Angebot zu profitieren.

Biel zur neuen Metropole

Was am Anfang noch ein «Bieler-Ding» war, entwickelte sich schnell zu einem «Ding» für die ganze Schweiz, sagt Bloesch. Von nah und fern reisen Schweizer:innen am ersten Freitag des Monats an, um einen erlebnisreichen Abend zu geniessen. Die Auslastung der Stadt ist gestiegen, laut Bloesch entstand ein neues Quartier. Zur Feier des achtjährigen Jubiläums liess Reto Bloesch die acht Jahre Revue passieren. 

  • Reto Bloesch ist beim First Friday für die Kommunikation zuständig.
    Bild: Reto Bloesch

Ausgebummelte Städte

Das Einkaufen verliert in der Schweiz an Bedeutung, so eine Studie des Gottlieber Duttweiler Instituts über den Einzelhandel. Schweizer:innen macht es weder Spass, noch erleben sie Einkaufen als sinnstiftend. Ein Drittel aller Schweizer:innen empfindet es sogar als Arbeit. Der Einkauf soll so effizient und schnell wie möglich erledigt werden. Bummler:innen, die ziellos in der Stadt schlendern, sind immer weniger anzutreffen. Die meisten Schweizer:innen gehen meist nur dann einkaufen, wenn sie tatsächlich etwas brauchen.

Zudem wird laut des Gottlieber Duttweiler Institutes der Kaufvorgang in Zukunft zunehmend online abgewickelt werden. Dies wird dazu führen, dass die reinen Verkaufsflächen sinken werden und Filialen andere Rollen übernehmen müssen. So können sie als Inspirationsquellen, Social Spaces oder Service Hubs agieren. Die Läden müssen langfristig innovativer denken, um Kundschaft zu gewinnen. 

Schweizer:innen gehen nicht gerne shoppen. Quelle: GDI

Rekordumsätze am ersten First Friday 

Dass Schaffhausen ausgebummelt ist, bemerkte auch Lukas Ottiger, City Manager der Stadt Schaffhausen. Ottiger erhielt letztes Jahr im Auftrag der Stadt das Mandat als City Manager, um die Altstadt attraktiver zu gestalten. In einem dreiköpfigen Team, das sich aus Vertretern der lokalen Wirtschaft und der Bevölkerung zusammensetzt, lancierten sie im April den ersten First Friday. Dieser war laut OK-Team ein voller Erfolg; Marius Baer performte seine neue Single, die Lädeli erzielten Rekordumsätze und Anwohner:innen genossen ihr Abendessen in den Gassen. Der zweite First Friday steht unmittelbar vor der Tür. Daniela Christen, Mitorganisatorin des First Fridays, und Lukas Ottiger stellen bereits Veränderungen in der Stadt fest. Auch die Lädeli wissen, was sie künftig besser machen können.

  • Lukas Ottiger ist der City Manager der Stadt Schaffhausen.
    Bild: Lukas Ottiger

Der zweite First Friday in Schaffhausen

Am 3. Mai feierte die Stadt Schaffhausen ihren zweiten First Friday. Jolina Saliquni besucht diesen zum ersten Mal, ihre Mutter selbst ist Ladenbesitzerin und nimmt am Event teil. Wie dieser ablief und was Passant:innen zu diesem Anlass sagen, finden Sie hier:

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