Die Schweiz ist eines der am besten bewaffneten Ländern der Welt. Die Waffen haben eine lange Tradition, auch mit dem Militärdienst. Aber es geht auch um Gefühle, Sport und Sicherheit. Ein Beitrag mit Interviews und Fakten.
Autor: Noé Schlumpf
Bild: Das schweizer Gedenkschiessen in Neuenegg hat Tradition. Quelle: Alfred Weyeneth
In Zürich gibt es jedes Jahr anfangs September ein grosses Volksfest: das Knabenschiessen. Die Stadt ist gefüllt mit Essensständen, Achterbahnen und Besuchern aus der ganzen Schweiz. Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen, die Menschen geniessen die letzten warmen Tage im Jahr. Das Knabenschiessen ist allerdings wegen seines Zweckes interessant. Puderzucker ist dort nämlich genau so üblich anzutreffen wie Gewehre. Denn es handelt sich um einen traditionellen Schiesswettbewerb für Kinder.
Der Schiesssport ist in der Schweiz sehr beliebt. Das jährliche Feldschiessen ist mit seinen 130’000 Besuchern das weltweit grösste Schützenfest. In der Schweiz gibt es über 2600 Schützenvereine, das ist rund ein Schiessverein pro 3500 Personen. Man kann Schiessen gehen, bevor man Auto fahren oder Alkohol trinken darf. Das Mindestalter für Jungschützen liegt bei 15 Jahren.
Die Schweizer haben Millionen Waffen
In der Schweiz sind nicht nur Schiesswettbewerbe Kult. Die Schweiz ist laut einer Studie von 2018 in den Top 20 Ländern betreffend Waffenbesitz in Privathaushalten. Es befinden sich schätzungsweise 2.5 Millionen Schusswaffen in Besitz von Privatpersonen.
Ein Grund für diese hohe Zahl ist die Militärpflicht für Schweizer Männer. Die Schweiz hat schon lange eine Milizarmee. Ursprünglich nahmen die Soldaten ihre Waffe und auch Munition mit nach Hause, um für einen Krieg jederzeit bereit zu sein. Heutzutage müssen die Angehörigen der Armee nur noch die Waffe zu sich zu Hause lagern. Sobald die Dienstpflicht erfüllt ist, dürfen die Soldaten die Armeewaffe für einen tiefen Preis kaufen. Auf der anderen Seite erwerben auch viele Privatpersonen unabhängig vom Militär Waffen. Jedes Jahr werden Zehntausende Bewilligungen für den Erwerb von Schusswaffen von der Polizei ausgestellt.
Die meisten Waffenbesitzer geben an, schon immer von Schusswaffen fasziniert gewesen zu sein. Viele Waffenfans behalten nach dem Dienst ihre Militärwaffe und benutzen sie zum sportlichen Schiessen. Die meisten Waffenhalter haben eins bis zehn Waffen. Allerdings hat jeder Zehnte Besitzer über 40 Waffen in seinem Besitz. Die beliebtesten sind dabei Pistolen, Revolver und halbautomatische Gewehre. Vollautomatische Waffen sind in der Schweiz kaum vorhanden, ausser die Gewehre der Soldaten, die noch im Dienst sind.
Der untypische Waffenbesitzer
John K. wohnt in einer Schweizer Stadt und ist begeistert von Waffen. Er wohnt seit einigen Jahren in der Schweiz und ist EU-Bürger. Er ist Besitzer von mehr als einem Dutzend Waffen und ist ein untypischer Waffenbesitzer für die Schweiz.
Die Schweiz ist nicht die USA
Wenn es um Waffenbesitz geht, denken viele Menschen an die Vereinigten Staaten. Dort haben die Bürger ein Recht auf Schusswaffen. Die Waffendebatte ist in den USA ein politisch brisantes Thema. Viele Amerikaner haben eine Waffe für die Selbstverteidigung. Sie wären bereit, zur persönlichen Verteidigung auf andere Menschen zu schiessen. In den USA gibt es jährlich die meisten Morde durch Schusswaffen weltweit.
In der Schweiz ist die Situation mit den Waffen anders. Im Jahr 2022 gab es zwar 220 Todesfälle durch Schusswaffen, allerdings waren 200 davon Selbstmorde. Die zhaw hat 2023 für eine Studie Waffenbesitzer befragt. Die grosse Mehrheit der Befragten hat angegeben, Waffen für sportliche Gründe oder für eine Sammlung zu kaufen. Nur 16% der Waffenbesitzer besitzen sie für den Selbstschutz. Über 80% der Waffenbesitzer sehen Schusswaffen als Teil der Schweizer Tradition.

Nicht nur die Kultur, auch die Gesetze sind in der Schweiz anders. In der Schweiz darf man keine Waffen in der Öffentlichkeit tragen. Dies ist der Polizei, dem Militär und vereinzelt anderen Personen vorbehalten. Ganz im Gegensatz zu den USA: Dort darf man in jedem Staat eine Waffe tragen. In den meisten Bundesstaaten ist es zudem erlaubt, eine Waffe offen zu tragen. Dies ist in der Schweiz nur auf dem Weg zum Schützenhaus denkbar.
«Ich habe jederzeit eine unterladene Pistole in meinem Schreibtisch»
Morris L. ist Waffenliebhaber. In den letzten Jahren hat der 22-Jährige angefangen Waffen zu sammeln und regelmässig schiessen zu gehen. Aber er hat seine Waffen nicht nur für den Sport. Moris will anonym bleiben.
Morris, du bist Waffenbesitzer. Wie viele Waffen hast du?
Das weiss ich nicht auswendig, aber laut meiner Liste sind es acht Waffen. Ich besitze fünf Pistolen, zwei Gewehre und einen Revolver. Eines dieser Gewehre habe ich von meinem Militärdienst. Für meine Schusswaffen habe ich 3500 Franken ausgegeben und 1500 für Munition. Alle meine Waffen und Munition lagere ich bei mir zu Hause.
Was fühlst du, wenn du eine Waffe abfeuerst?
Ich verspüre eine gewisse Ruhe. Um präzise zu schiessen, muss man ruhig stehen und konzentriert sein. Nach einem langsamen Ausatmen muss man langsam abdrücken. Wenn ich die Zielscheibe nach dem Schiessen anschaue und sehe, dass ich getroffen habe, erfüllt mich das mit Stolz. Schiessen ist ein Sport für mich. Meine Ergebnisse sind sehr viel besser als vor zwei Jahren. Ich mache Fortschritte und das macht mich glücklich. Ich gehe jede zweite Woche in einen Schiesskeller.
Wieso hast du dich dazu entschieden, Waffen zu kaufen?
Die meisten meiner Waffen haben einen Erinnerungswert und ich sammle sie. Für mich ist es etwas Spezielles und für mich als Waffenfans haben sie einen speziellen Wert. Ich bin beeindruckt von den Waffen und deren Geschichte. Ausserdem ist es günstiger, die Waffen zu kaufen, als sie jedes Mal zum Schiessen zu mieten.
Was ist deine Meinung zu den Waffengesetzen in der Schweiz?
In einigen Aspekten sind die Gesetze zu locker. Es ist ziemlich einfach, eine Waffe zu kaufen. Allerdings ist es sehr schwer, beispielsweise Schalldämpfer, zu kaufen und das ergibt meiner Meinung nach keinen Sinn. Auch sollten ausgebildete Waffenbesitzer Waffen tragen dürfen. Wir haben keine sicheren Zeiten mehr. Messerstechereien und andere Massaker könnten so verhindert werden. Deshalb fände ich Tragbewilligungen angebracht. Ich könnte mir vorstellen, auch selbst eine Waffe zu tragen, wenn es erlaubt wäre.
Was ist deine Meinung zu Waffen für die Selbstverteidigung?
Wenn man auf eine schwere Straftat trifft, sehe ich Schusswaffen als legitimes Mittel. Besonders wenn Schwächere sich nicht selbst verteidigen können. Wenn ich einem Wald eine Vergewaltigung sehen würde und der Täter trotz meiner Aufforderung nicht aufhört, würde ich eine Waffe einsetzen. Man muss mit Waffen auch nicht auf Personen schiessen, Warnschüsse zeigen häufig auch Wirkung.
Moris, du hast Waffen bei dir zu Hause. Was würdest du machen, wenn du merkst, dass bei dir eingebrochen wird?
Mein erster Griff wäre zum Baseballschläger. Aber wenn ich sehe, dass sie mit Gewehren ins Haus kommen, würde ich zu meiner Pistole greifen. Ich habe jederzeit eine unterladene Pistole in meinem Schreibtisch. Ich bin bereit, mich zu verteidigen.
Hast du schon negative Reaktionen zu deinem Hobby erlebt?
Gewisse Personen haben mir vorgeworfen, ich sei eine Gefahr für die Gesellschaft oder ein potenzieller Amokläufer. Es ist manchmal nicht ganz klar, ob das ernst gemeint ist oder nicht. Aber das Wichtigste ist, dass ich ein normaler Mensch bin und nie so etwas machen würde.
Kannst du dir ein Leben vorstellen, wo du keine Waffen hast?
In der heutigen Welt kann ich mir das nicht vorstellen. Wenn wir in der Schweiz die Kriminalität komplett im Griff hätten, bräuchten wir keine lockeren Waffengesetze. Aber die Welt ist nicht friedlich und die Menschen spinnen immer mehr. Die Zivilcourage fehlt und die Vernunft verschwindet aus der Gesellschaft. Ich bin als Waffenbesitzer für Krisensituationen vorbereitet, aber das ist nicht meine Hauptmotivation.
Die Schweiz hat lockere Waffengesetze
Dass Schusswaffen in der Schweiz Tradition haben, spiegelt sich auch in den Waffengesetzen. So sind beispielsweise Sportwaffen, gewisse Jagdwaffen und alte Armee-Karabiner nur meldepflichtige Waffen. Das heisst, dass man dafür keine Bewilligung benötigt, sondern nur einen leeren Strafregisterauszug. Auch brauch man keine Bewilligung, um Munition zu kaufen, egal in welchen Mengen. Bei einem Kauf einer Waffe braucht es weder medizinische noch psychologische Tests.
Die Waffengesetze in der Schweiz sind locker. Nicht alle Personen sind damit einverstanden. Die linken Parteien wollen strengere Regeln, während die rechten Parteien die Waffengesetze gleich lassen oder sogar lockern wollen. Die letzte Revision des Waffengesetzes war 2019, als sich über 60% des schweizerischen Stimmvolkes für eine Verschärfung der Waffenbestimmungen aussprach.
Waffenbesitzer sind männlich und im Schützenverein
Waffenbesitz wird häufig als typische Männersache angesehen. Laut der Studie von der zhaw stimmt das auch: Nur 6% der befragten Waffenhalter sind weiblich. Frauen machen etwa 15% der Schützen in den Schiessvereinen aus. Ein Grund dafür ist, dass die Schweizer Männer, aber nicht die Frauen eine, Dienstpflicht haben. Somit kommen viele Männer im Dienst in Kontakt mit Waffen. Der Frauenanteil in der Schweizer Armee liegt bei unter zwei Prozent. Die Verteidigungsministerin Viola Amherd will diesen auf zehn Prozent erhöhen.
Die meisten Waffenbesitzer sind Mitglied in einem Schützenverein. In den Vereinen geht es um den Schiesssport. Meistens Pistolen 25/20 Meter oder Gewehr 300 Meter. In den Schützenvereinen können die Waffenhalter auf Gleichgesinnte treffen, die mit Ihnen das Hobby teilen.