Der Einstieg ins Vinyl-Business hatte Jörg Walker nie geplant. Doch die Liebe für Musik führte ihn über Umwege zum eigenen Schallplattenladen.

Autor: Jan Wattenhofer
Titelbild: Im «Katalog Record Warehouse» finden alle eine Schallplatte nach ihrem Musikgeschmack; Bild: Jan Wattenhofer

Plötzlich hatte er ihn: den eigenen Schallplattenladen inklusive Geschäftsführer und Einrichtung. «Meine Frau ist fast durchgedreht», sagt der 64-jährige Jörg Walker, der hauptberuflich einen Gastronomiebetrieb in Zürich führte. Bis 2008 hiess der Plattenladen an der Weinbergstrasse 31 in Zürich «Discomarkt». Nachdem der Inhaber unerwartet verstarb und ein Geschäft randvoll mit Vinyl hinterliess, machten sich die ehemaligen Kund:innen und Fans des «Discomarkts» auf, um jemanden zu finden, der die anstehende Liquidation mit mehr Hingabe durchführt. «Ich weiss gar nicht, wie sie genau auf mich gekommen sind», sagt Walker.

Der Familie des Verstorbenen kaufte er den Laden samt gigantischer Auswahl an Schallplatten ab. «Der Preis war sehr fair», sagt Walker. Dann organisierte er den Abverkauf. Jeder Tonträger kostete fünf Franken. «Ich dachte, ich mache das drei Monate und den Rest schmeisse ich weg.» Drei Tage später hatte er den Preis, den er für das Geschäft bezahlt hatte, wieder drin. Nach einer Weile fragte der Vermieter, wie es mit dem Laden weitergehe. Als dann der erfahrene Plattenhändler Andi Walter bei Walker Interesse an einem neuen Job bekundete, war alles bereit, um den Secondhand-Schallplattenladen für alle Vinylbegeisterten unter dem neuen Namen «Katalog Record Warehouse» wiederzueröffnen. «Hinter all dem steckte nie ein Businessplan, der Laden ist mir einfach zugeflogen.»

  • Schallplattenhändler, Musiker, Gastronom: Jörg Walkers Karriere war alles andere als langweilig; Bild: Jan Wattenhofer

Der Sammel-Blues

Walker ist selbst vor allem ein grosser Sammler. Vor der Zeit mit dem «Katalog», wie der Laden allgemein genannt wird, war Walker regelmässig an Schallplattenbörsen. Für hundert Franken bekam er einen Tisch, um mit seinen Vinylscheiben zu handeln. «Meistens hat man mehr neue Platten gekauft als verkauft», sagt Walker. Lustigerweise werde seine Sammlung zu Hause, seit er den eigenen Laden hat, ständig kleiner. Aktuell sind es noch 1224 Stück. Walkers selbst auferlegtes Ziel: nicht mehr als 1000 Schallplatten in der eigenen Wohnung. Sein zusätzlicher Lagerraum mit einer Fläche von 300 Quadratmetern, in dem er die Bestände des «Katalogs» aufbewahrt, sollte ihm die Aufgabe erleichtern. «Was ich nicht zu Hause habe, liegt im Lager und gehört ja trotzdem mir.»

Der Grossteil seiner Sammlung besteht aus amerikanischer Roots-Musik. Soul und vor allem Blues, insbesondere der Texas-Blues, haben es ihm angetan. Neben den Platten besitzt Walker noch CDs und auch dem Streaming ist er nicht abgeneigt. Es gehe ihm hauptsächlich um die Musik. Trotzdem: «Wenn ich ein Album wirklich toll finde, will ich davon eine Schallplatte.» Die Haptik und die Cover faszinieren ihn. Vor allem wolle er etwas in der Hand halten. Zudem sei der Klang wärmer und reicher. Das gelte aber nur, wenn die Musik vorher nie digitalisiert worden ist, sondern die analoge Aufnahme aus dem Studio direkt auf die Schallplatte gepresst wird.

Wenn die Gitarre plötzlich grün sein muss

Walker hört nicht nur Musik, sondern macht sie auch. Seit dem 14. Lebensjahr ist die Gitarre sein Begleiter. Mit 17 spielte er in der ersten Band. Er versuchte sich eine Weile im Journalismus, sein Studium der Ethnologie und Germanistik schloss er nie ab. Die Musikkarriere kam ihm in die Quere. In den 80er-Jahren liess er die Saiten seiner Gitarre bei der Band «Clan Miller & the Hot Kotz» zappeln, ein 16-köpfiges Zürcher Tanzorchester. Sie spielten an Maskenbällen, Open-Air-Festivals und an vielen Events der Werbebranche. «Die Werber hatten einfach Geld», sagt Walker.

Solange die Bezahlung stimmte, machten und spielten sie für ihre Kunden alles, was verlangt wurde – auch einmal acht oder neun Stunden am Stück. Zudem gab es hin und wieder ausgefallene Wünsche: Eine der grossen Werbefirmen habe einen Anlass für rund 500 Personen in einer Kiesgrube organisiert. «Und alles musste grün sein: die Gesichter, die Kleider, die Haare, alle Instrumente, sogar das ganze Essen war grün», erzählt Walker. Von solchen Veranstaltungen konnten die Bandmitglieder eine Weile lang leben.

Später war er Gitarrist bei der Schweizer Rockband «Scuba Divers», mit denen er viele Konzerte spielte – zum Leben reichte es aber nicht. Nach dem Ende der Band stand Walker nur noch vereinzelt auf der Bühne. Privat packt er die Gitarre immer noch aus. Freunde von ihm hätten sogar eine Band, Konzerte gäben sie keine, erzählt er. «Das ist mir einfach zu wenig.» Deshalb spiele er nicht mit.

«Pensionierungslebensplan»: Schallplatten

Gegenwärtig könne sich Walker wieder vorstellen, mehr Musik zu machen. Vor einem Jahr gab er die Gastronomie auf, die viel seiner Zeit beanspruchte. Ab Anfang der 2000er führte er das Restaurant «B» in der Bäckeranlage in Zürich. Zuvor betrieb er das Café «Walti», das ein Szenelokal im Niederdorf war, in dem die jungen Leute für Kaffee, Crêpes oder zum Brunch vorbeikamen. 15 Jahre lang führte er das «B» und den «Katalog» parallel. Viel von seinem Schallplattenladen bekam Walker damals nicht zu Gesicht. Pro Woche stand er etwa zwei Stunden im Geschäft. Nebenbei kontrollierte er die Verkaufszahlen und bestimmte das Angebot. Für den Rest gab er seinem Geschäftsführer Andi Walter freie Hand. «Ich habe ihn mehr oder weniger machen lassen.» Heute ist Walker drei Tage in der Woche im «Katalog», üblicherweise donnerstags bis samstags. «Jetzt muss Andi mit mir leben», sagt er witzelnd.

Mit dem Duo Walker und Walter läuft der Schallplattenladen: Sie stellen sicher, dass alle Musikliebhaber:innen ihre persönlichen Vinylschätze finden. Was den Laden besonders macht und welche Geschichten in ihm stecken, erzählen die beiden im Video.

«Mein Pensionierungslebensplan ist es, Schallplatten zu verkaufen.» Walker dachte sich schon sehr früh, dass es doch spannend wäre, nach seiner Zeit im Restaurant, im «Katalog» zu arbeiten. Kisten- und lastwagenweise habe er deshalb alles, was ihm an Vinyl über den Weg lief, gekauft. Reich werde man zwar nicht mit einem Plattenladen, aber: «Es hat immer wieder eine spannende Schallplatte für mich.» Walkers selbst auferlegte 1000-Platten-Grenze für seine private Sammlung zu Hause scheint also vorerst nur ein Ideal zu bleiben.


Vinyl boomt weiter – wenn auch nicht in der Schweiz

Schallplatten haben nun schon seit einiger Zeit wieder Hochkonjunktur. In Grossbritannien und den USA sind die Vinylverkäufe im letzten Jahr wieder gestiegen. In der Schweiz sieht es jedoch anders aus.

Seit 2010 erfreuen sich Schallplatten wieder grosser Beliebtheit; Bild: Jan Wattenhofer

Die Plattenspieler laufen heiss: Laut der British Phonographic Industry sind im Jahr 2023 die Verkaufszahlen für Vinyl zum 16. Mal in Folge gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es ein Umsatzplus von fast 20 Prozent. Noch eindeutiger ist die Gegenüberstellung mit dem Jahr 2013: Vor einer Dekade brachte das Vinylformat in Grossbritannien noch zwölf Mal weniger ein als heute. Trotz der Beliebtheit von Schallplatten hören auch die Britinnen und Briten die meiste Musik über Streaming-Dienste wie Spotify.

In den USA steht das schwarze Gold für Musikfans ebenfalls hoch im Kurs. 2023 verzeichnete die Recording Industry Association of America 43 Millionen verkaufte Schallplatten. Insgesamt gingen sogar mehr Vinylscheiben als CDs über die US-amerikanischen Ladentheken. Das geschah zuletzt 1987.

Schweizer:innen kaufen weniger Schallplatten

In der Schweiz ist die Euphorie um Vinyl leicht abgeflaut. Seit zwei Jahren ist der Verkauf von Schallplatten gemäss der IFPI Schweiz, dem Branchenverband der Musiklabels, leicht rückgängig. Der Kauf von Musik über digitale Downloads geht ebenso konstant zurück. Mit fast 90 Prozent des gesamten Musikkonsums dominiert Streaming gleichermassen die Schweiz wie viele andere Länder. Dennoch ist das Comeback von Vinyl seit 2010 beachtlich.

Der Höhepunkt war das Jahr 2021, in dem fast fünf Millionen Platten verkauft wurden. Eine Erklärung für das Hoch scheint die Corona-Pandemie zu sein. Die Menschen hatten mehr Zeit für ihren Musikgenuss zu Hause. Doch selbst mit den leicht sinkenden Zahlen bleibt das Vinyl in der Schweiz beliebt. Das bestätigt auch Jörg Walker. Er ist Inhaber des Schallplattenladens «Katalog Record Warehouse» in Zürich. Walker spüre den Vinyl-Boom vor allem daran, dass viele junge Leute kommen: «Momentan ist es cool, etwas in der Hand zu haben. Das ist natürlich super für das Geschäft.» Aktuell seien Platten von italienischen Musikern wie Lucio Dalla und Fabrizio De André gesucht. Im Laden habe er davon leider viel zu wenig.

Die Königin des Vinyls

In Grossbritannien sind es laut der British Phonographic Industry vor allem neue Veröffentlichungen von aktuellen Musiker:innen, die 2023 den Verkauf von Schallplatten weiter ankurbelten. Mit ihrem neuesten Album «The Tortured Poets Department» konnte Taylor Swift in den USA den Rekord für das meistverkaufte Vinylalbum innerhalb einer Woche seit 1991 verbuchen, wie die Variety berichtete. In nur drei Tagen verkaufte sie 700'000 Einheiten. Damit brach sie ihren eigenen Rekord schon zum zweiten Mal. Ihr Album «1989 (Taylor’s Version)» verkaufte sich 693'000 Mal auf Vinyl, «Midnights» 570'000 Mal. Die Variety nennt Swift unterdessen «die moderne Königin des Vinyls».

Swift-Platten verkaufen sich auch auf dem britischen Inselstaat sehr gut. Die Liste der meistverkauften Vinylalben 2023 in Grossbritanniens führt Swift an und kann sich sogar insgesamt drei Mal platzieren. Auf Platz zwei sind die «Rolling Stones» mit ihrem Album «Hackney Diamonds». Musikklassiker von «Fleetwood Mac» und «Pink Floyd» sind ebenfalls auf der Liste vertreten, genauso wie die einheimische Britpop-Grösse «Blur» mit «The Ballad Of Darren».